Was Frauen wollen

 

Eine überlieferte Legende aus dem Jahr 1450

 

An einem schönen Sommertag geht Arthus mit seinen Rittern auf die Jagd. Er erblickt einen großen Hirsch, den er verfolgt, bis er immer tiefer und letztlich ohne Gefährten in den Wald von Inglewood gerät, wo auf einer Lichtung plötzlich ein Riese in voller Rüstung vor ihm steht, der den König zum Zweikampf fordert. Arthur appelliert an dessen Ritterehre und weist darauf hin, dass er nur sein grünes Jagdgewand trägt und nicht für einen Zweikampf gerüstet sei. Darauf lenkt der Riese ein unter der Bedingung, dass der König ein Jahr später am selben Tag und am selben Ort kampfbereit erscheine. Der König schwört es bei seiner Ehre, woraufhin ihm der Ritter eine Chance gibt. Sollte Arthus jedoch bis zum nächsten Treffen ein Rätsel lösen, so bliebe ihm der tödliche Zweikampf erspart. Das Rätsel lautet:

 

» Was will die Frau? «

 

Erleichtert bedankt sich der König und kehrt nach Camelot zurück. Als er dort seine Geschichte erzählt, breitet sich Ratlosigkeit aus. Alle spüren, dass es sehr schwierig würde, die richtige Antwort zu finden, obwohl man damals noch nicht wissen konnte, dass mehr als 500 Jahre später selbst der Vater der Psychoanalyse, Siegmund Freud, gestand: „Die große Frage, die ich trotz meines 30-jährigen Studiums der weiblichen Seele nicht zu beantworten vermag, lautet: Was will die Frau?“

 

Nun, auf Camelot ging man ganz pragmatisch vor. Man schickte Boten in alle Teile des Landes, um das ganze Volk zu befragen, und alle Antworten trug man sorgfältig in einem dicken Buch zusammen. Doch je mehr das Jahr verging, umso größer wurde die Sorge. Und als sich der König allein auf den Weg zu seinem Herausforderer machte, befürchtete jeder am Hof, dass man die richtige Antwort nicht gefunden hatte.

 

Da reitet rückwärts auf ihrem Klepper sitzend die hässlichste aller Hexen daher. Hämisch kichernd begrüßt sie den König und sagt ihm mit ihrer krächzenden Stimme direkt ins Gesicht: » Wenn ich Euch nicht helfe, Herr König, seid Ihr ein toter Mann.« Sofort wird dem König klar, dass die alte Hexe, die sich als Lady Ragnell zu erkennen gibt, sein Problem, aber auch die Lösung kennt. Sie ist auch gern bereit, ihm zu helfen, wenn er ihr gleichfalls einen Wunsch erfüllt. Der König sagt, er tue gerne, was er könne. Doch als er den Wunsch erfährt, verliert er sogleich alle Hoffung. Lady Ragnell wünscht sich Gawain, den schönsten aller Ritter zum Mann. »Das kann ich ihm nicht antun,« seufzt Arthus. Doch als Gawain davon hört, sagt er sofort: »Um Euer Leben zu retten, würde ich sogar den Teufel heiraten.« Daraufhin kommt es zum Pakt. Die Hexe verrät dem König des Rätsels Lösung, doch darf Arthus zunächst alle anderen Antworten ausprobieren. Nur wenn er wirklich Ragnells Antwort braucht, dann wird sie Gawain zum Mann bekommen.

 

Tief im Wald von Inglewood trifft der König ein Jahr später auf seinen mächtigen Gegner. Der nimmt sich auch die Zeit, sich alle Antworten anzuhören, die Arthus' Boten gesammelt haben. Aber wie befürchtet, ist die richtige nicht dabei. Schon will der Riese den Kampf beginnen, da sagt Arthus: »Halt, eine Antwort habe ich noch. Die Frau will Macht!« »Das kann Euch nur meine Schwester, die verfluchte Hexe Ragnell verraten haben,« tobt und zetert der Riese. Aber er hält sich an die Vereinbarung und lässt den König ziehen.

 

Zu Hause auf Camelot wird die Rückkehr des Königs freudig gefeiert, als es plötzlich an der Türe klopft. »Hallo, Herr König,« hört man die krächzende Stimme der Alten, »habt Ihr mich vergessen?« »Nein, nein,« beschwichtigt Arthus und lässt die Hexe ein, die sich auch gleich zum schönen Gawain gesellt. Allen ist die Situation peinlich und Arthus hofft, sein Versprechen mit einer Heirat im Verborgenen einlösen zu können. Aber da protestiert die Lady und verlangt ein großes, richtiges Hochzeitsfest.

 

Das bekommt sie auch, aber es gleicht einem Trauertag auf Camelot. So viele schöne Frauen hatten davon geträumt, den strahlenden Gawain für sich zu gewinnen. Nun saßen sie weinend in ihren Gemächern und mussten mit ansehen, wie diese furchtbare Hexe den besten Ritter Englands bekam. Die aber war fröhlich und in bester Laune. Und als sich des Abends alle Gäste eher verlegen verdrückt hatten, und sie mit ihrem Angetrauten allein war, schlug sie vor, schlafen zu gehen. Gawain folgte ihr verdruckst, legte sich mit dem Rücken auf das Bett und starrte schweigend an die Decke. Nach einer langen Weile fragte Ragnell: »Mein lieber Gawain. Wir sind doch jetzt Mann und Frau. Wenn ich Euch nun um einen Kuss bitte, ist das zu viel« Darauf gab sich Gawain einen Ruck, fasste allen Mut zusammen und sagte: »Nein, Ihr sollt auch mehr als das haben,« und küsste sie. Plötzlich sah er die schönste aller Frauen vor sich und fragte verwirrt: » Wer bitte seid Ihr?« »Ich bin doch Eure Frau« flüsterte die Schöne, aber dann stellte sie Gawain vor eine Wahl, um die ihn niemand beneiden würde. »Ich war verwunschen.. sagte sie, »aber durch Euren Kuss bin ich erlöst. Doch kann ich nicht stets so sein, wie Ihr mich jetzt seht, sondern immer nur einen halben Tag. Wählt: Wollt Ihr mich so bei Nacht? Dann bin ich tagsüber die hässlichste Frau, und niemand wird verstehen, warum Ihr an meiner Seite seid. Aber des Nachts bin ich dafür die Frau Eurer Träume. Oder Ihr habt mich tagsüber so schön, dass alle Welt Euch um mich beneidet. Aber nachts bin ich die scheußliche Hexe Ragnell. Nun wählt!« »Oh, das fällt mir schwer,« klagt Gawain - und wer würde ihn nicht verstehen? Deshalb überlässt er ihr die Wahl und sagt: »Meine liebe Frau, es sei so, wie Ihr es wünscht.« Damit ist der Bann gebrochen. Mit dieser Antwort hat er sie ganz erlöst, sodass sie nun Tag und Nacht die schönste aller Frauen sein kann.

 

Soweit die schöne Geschichte, die auf einer Ebene davon erzählt, dass das

Wissen um das wirkliche Wesen, die wahre Rolle und die Bedeutung der

Frau so gänzlich in Vergessenheit geraten war, dass die Natur (der Riese)

den König (als Repräsentant der Zivilisation) zwingt, sich dessen wieder

bewusst zu werden, andernfalls ist er des Todes (die Zivilisation geht unter).

 

Wie aber ist die gesuchte Antwort zu deuten? »Sovereinty - also Souveränität ist das, was die Frau im englischen Urtext begehrt. Das bedeutet sowohl Macht (im Sinne der Eigen-er-MÄCHT-igung) wie Unabhängigkeit.

 

 

 

Aus dem Buch: Zwischen Himmel und Erde von Hajo Banzhaf

(Verlag Königsfurt Urania)

 

 

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Eva (Montag, 14 September 2015 22:35)

    Hallo Nadja!
    Netter Blogtitel!